° Der Begriff: Mystik
Starten wir mit einer Begriffsklärung wie sie bei www.dominikaner.org
nachzulesen ist:
„Mystik ist die Erfahrung einer unmittelbaren
Anwesenheit des verborgenen Gottes, die den ganzen Menschen ergreift. Die
christliche Spiritualitätsgeschichte ist reich an Frauen und Männern, die
solche Erfahrungen gemacht haben. Gerade auch die dominikanische Tradition des
Mittelalters kennt viele Gestalten, die mystische Erfahrungen gemacht haben und
die diese weitergegeben haben. Neben ganzen Klöstern mit vielen Mystikerinnen,
stechen dabei besonders Gestalten wie Caterina von Siena und Margarethe Ebner
hervor. Besonders bekannt ist aber die sogenannte „deutsche Mystik“. Ihre
prägenden Gestalten waren die Dominikaner Meister Eckhart, Johannes Tauler und
Heinrich Seuse, die beide Schüler Eckharts waren. Von allen dreien sind
wesentliche Texte zur Vermittlung ihrer Mystik an Schwestern und Laien
abgefasst. Mit ihnen verbunden ist auch die Prägung wichtiger mystischer
Grundworte wie Abgeschiedenheit, Gelassenheit, die Gottesgeburt im Seelengrund.
Den Menschen ihrer Zeit Wege zur Erfahrung dieser Gottesgeburt im Innersten des
Menschen, im Grund seiner Seele zu weisen, war ein wesentliches Anliegen dieser
Mystiker.“
° Wieso Mystik
und Gestalttherapie?
Mystik ist also eine
Bewegung, die uns zu höheren Einsichten der Geheimnisse des Lebens führt. Das
Buch der Mysterien ist das Buch der Geheimnisse. In der Mystik führt der Weg
zur Erkenntnis nicht über den Verstand, nicht Rationalität und Logik werden
bemüht, sondern die unmittelbare Anschauung. Und genau hier findet sich die
Nahtstelle zur Transpersonalen Gestalttherapie. Phänomenologie, die Lehre von
der unmittelbaren Anschauung ist eine der wichtigsten Grundlagen der
Gestalttherapie. „Drop your mind and come to your senses.“ Die Sinne schärfen,
die Welt auf mich wirken lassen und erleben was dann geschieht.
Meine Begegnung mit Mystik
kam so: Ich habe meine Lehrzeit bei einem indischen Meister erlebt, der sich
selbst Mystiker nannte. Alles was in dem Feld um Osho herum geschah, nannte er
„Mysteryschool“. Ich war von 1980 bis 1990 in Osho`s Mysterienschule (und bin
es eigentlich noch heute). Es würde sicherlich zu weit gehen Fritz Perls einen
Mystiker zu nennen, aber was in dem Feld um Fritz passierte, ob in Esalen oder
Cowichan ist bestimmt vergleichbar mit dem was in den Mysterienschulen dieser
Welt gelehrt und praktiziert wurde. Die Lehre von Fritz Perls hiess: Schau hin,
sei präsent, öffne dich dem Leben, verlass dich auf dein inneres Wissen. In den
traditionellen Schulen des Zen oder der Sufis, bei Gautama Buddha oder bei
Bhodidharma wurde es das „alte Wissen“ genannt. Das deutet darauf hin, dass wir
Zugang nehmen können zu einem Wissen, das weit umfassender ist, als die
Inhalte, die wir in Schulen und Universitäten erworben haben.
Begriffe wie Seele werden in
der Mystik ohne Zögern benutzt, Begriffe, die im materialistischen Weltbild des
Westens nicht vorkommen. Mystik handelt also von unsichtbaren Phänomenen, sie
befasst sich mit inneren Bildern, mit geistigen Inhalten. Das tun eine ganze
Reihe von psychotherapeutischen Richtungen auch. C.G.Jungs Sicht des
kollektiven Unbewussten, Assagiolies Psychosynthese, Hellingers Bewegungen der
Seele, Jeanne Achterbergs Heilung durch Imagination und natürlich eine
transpersonale Gestalttherapie.
° Zur Geschichte
der Deutschen Mystik
Wenn wir Mysterium denken,
schauen wir Europäer nach Asien, Afrika, Südamerika, aber sicher nicht in
unsere eigenen Reihen. Am wenigsten würden Deutsche in einer Umfrage äussern,
dass es eine deutsche Mystik gibt oder wenigstens gab. Das 13. und 14.
Jahrhundert sind aber tatsächlich eine Blütezeit einer zutiefst spirituellen
Bewegung, der Deutschen Mystik. Ihr prominentester Vertreter ist Meister
Eckhart, 1260 geboren bei Gotha und 1327 oder 28 verstorben in Avignon oder auf
dem Weg von Avignon nach Köln. Eckhart trat in jungen Jahren in den Dominikaner
Orden ein und erhielt im Rahmen des Ordens die beste Ausbildung, die man damals
bekommen konnte.
Als er 17 ist, schickt ihn
der Orden nach Paris, wo er an der Universität sein philosophisches
Grundstudium absolviert. Zum Theologiestudium kehrt er 1280 zurück nach Köln.
Ein paar Fakten zum
Mönchstum im Mittelalter:
Um das Jahr 530 wird der
Benediktiner Orden gegründet
um 1084 die Karthäuser
um 1098 die Zisterzienser
Diese Orden leiten ihr
Verständnis noch eher von der Weltabgewandtheit her. Ihre Klöster liegen
landschaftlich meist erlesen, aber isoliert. Dann aber im 12. Und 13.
Jahrhundert haben wir eine grosse Stadtgründungswelle in Europa, besonders in
Deutschland. In Folge dessen kommen nun Bruderschaften auf, die sich um die
Stadtbevölkerung kümmern möchten.
1209 der Orden der
Franziskaner
1216 der Orden der
Dominikaner beides sind Bettelorden und Predigerorden. Die geweihten Priester
des Dominikaner Ordens hatten die Erlaubnis in jeder Kirche ihrer Wahl zu
predigen.
1226 folgte die Gründung des
Augustiner Ordens. (Luther war Augustiner)
Eckhart ist also Dominikaner
und er verbringt viele Jahre in Köln, vor allem zu Beginn und am Ende seiner
Karriere. Nun muss man wissen, dass Köln zu Beginn des 14. Jahrhunderts bereits
50 000 Einwohner hatte und damit die grösste Stadt Europas im Mittelalter war.
Schon 200 Jahre zuvor lebten hier 20 000 Menschen. Das hatte mit drei Faktoren
zu tun. Köln lag an der bedeutendsten Wasserstrasse, dem Rhein. Hier gab es
Brücken, das war Händlern wichtig. Sie mussten oft umpacken um Flüsse zu
überqueren und so entstanden häufig an Flussübergängen
Köln war mithin nicht nur
die bevölkerungsstärkste Stadt, nicht nur ein attraktiver Wallfahrtsort,
sondern auch die bedeutendste Festung des Mittelalters. Die Stadt war von einer
8km langen Mauer umgeben, mit 52 Türmen und 12 Toren. 1248 ist das Jahr der
Grundsteinlegung für den Dombau und im selben Jahr wird auch die Schule der
Dominikaner gegründet, in der Eckhart einen Teil seiner Ausbildung erhielt. Das
ist die Welt, in der Eckhart lebte. Stadt und Kirchenentwicklung sind nicht von
einander zu trennen. Der Gang zur Messe
ist ein selbstverständlicher Teil des sozialen Lebens. Mönche gehören in das
Stadtbild mit dem unverwechselbaren Habit, so wie Händler, Kaufleute,
Handwerker in der Tracht ihrer Zünfte und Gilden. Dominikaner trugen ein weißes
Gewand und für kalte oder nasse Tage einen schwarzen Umhang dazu.
° Eckhart als
Lehrer des Transpersonalen
Es mag nun erstaunen, dass
unter der Überschrift Geschichte der Mystik vor allem von Klöstern und
Mönchsorden die Rede war, ist doch die Idee des direkten Weges zu Gott der
geltenden katholischen Religion diametral entgegengesetzt. Das kennzeichnet
genau das Spannungsfeld, in dem Eckhart und andere Mystiker lebten. Einerseits
ist die Zeit von einer ganz selbstverständlichen Religiosität durchdrungen,
eine Nähe zur Spiritualität, die zunächst mit Kirche und Dogma nichts zu tun
hat. Gläubige hatten Marienerscheinungen, man war überzeugt von der
segensreichen Wirkung der Gebeine von verstorbenen Heiligen, die Bevölkerung
ist durchaus aufgeschlossen für die Reden von Eckhart, Tauler oder Seuse, die
Zeit ist also günstig für direkte Gotteserfahrung. Aber gleichzeitig ist da
eine kirchliche Institution, die im ersten Jahrtausend noch jung und flexibel
war, die sich aber nun im beginnenden zweiten Jahrtausend mehr und mehr festlegte
mit ihren Überzeugungen.
Die Dogmen nahmen zu im
Gleichschritt mit der Zunahme der weltlichen Macht der Kirche. Es gab also
gleichzeit beides: eine hochkomplexe Theologie, die sich für berechtigt hielt,
Glaubensinhalte zu formulieren und einzufordern und es gab die Insbrünstigen,
die Gottessucher und so lange man nicht öffentlich von Visionen sprach kam es
selten zur Verfolgung. Eckhart aber war einer der bedeutenden Theologen seiner
Zeit, lehrte zweimal in seinem Leben Theologie in Paris, eine Uni an der die
Dominikaner traditionsgemäss zwei Lehrstühle besetzten, und natürlich wurden
nur die Besten dort hingeschickt. Er kannte die gängigen Lehrmeinungen also in
und auswendig, aber erstaunlicher Weise verstopfte sein Wissen nicht die
Kanäle, durch die er seine direkten Erfahrungen des Lichts machen konnte. Er
hatte nie vor, die Kirche anzugreifen, ihm lag an der Wahrheit und so wie er sie
selbst erfahren hatte, musste er sie auch lehren. Er wirkte wie ein Magnet auf
die Menschen. Er muss ausgestrahlt haben, was Carl Rogers von jedem Therapeuten
erwartet: Empathie, Akzeptanz und Authentizität.
Eckhart stieg rasch auf in
der Ordenshierarchie. Anfangs war er Prior in Erfurt und Provinzial in
Thüringen. 1302-03 und 1311-13 lehrte er Theologie in Paris. Ab 1314 hatte er
die Stellung eines Generalvikars in Strasbourg, auch die Betreuung der Klöster,
auch der Nonnenklöster fiel in seinen Aufgabenbereich. In die Zeit von 1314 bis 22 fallen die
meisten Predigten.
Wenn er zu den Leuten
öffentlich sprach, schliesslich kam er aus einem Predigerorden, nutzte er nicht
die komplizierte Sprache der Theologen, die war Latein, sondern im Gegenteil,
er sprach deutsch, damit seine Zuhörer verstanden, was er zu sagen hatte. Es wird berichtet, er habe auf den Stufen des Straßburger
Münsters gepredigt und der Kirchenvorplatz habe die Zuhörer gar nicht alle
aufnehmen können.
Eckhart
sprach von „Inbildungen“. Hier liegt der Ursprung des Bildungsbegriffes, der
später in die Bedeutung von reinem Wissen verkehrt wurde. Bei Eckhart ging es
um Herzenbildung. Oder er sprach von „Inlichtungen“, also Erleuchtung. „Ich
habe zuweilen von einem Lichte gesprochen, das in der Seele ist, das ist
ungeschaffen und unerschaffbar … und dieses Licht nimmt Gott unmittelbar,
unbedeckt, entblösst auf, so wie er in sich selbst ist…“(Gehard Wehr, S. 93) In
Oshos Mystery School hiess es: Look for a direct experience. Suche die direkte
Erfahrung!
Im
Traktat von der edlen Bildung der Seele schreibt Eckhart: „Wer zur höchsten
Vollendung seines Wesens gelangen will und zum Schauen Gottes, des höchsten
Gutes, der muss ein Erkennen haben seiner selbst wie dessen, was über ihm ist,
bis auf den Grund. So nur gelangt er zu der höchsten Lauterkeit. Darum, lieber
Mensch, lerne dich selber kennen, das ist dir besser, als ob du aller Kreaturen
Kräfte erkänntest“. (M.E.Schriften, S. 87)
Hier noch einige weitere Zitate:
»Gott ist allzeit bereit,
wir aber sind sehr unbereit; Gott ist uns „nahe“, wir aber sind ihm fern; Gott
ist drinnen, wir aber sind draußen; Gott ist (in uns) daheim, wir aber sind in
der Fremde« (Meister Eckhart: Predigt 36).
Gott aber, hat man ihn überhaupt, so hat man
ihn allerorten; auf der Straße und unter den Leuten so gut wie in der Kirche
oder in der Einöde oder in der Zelle…
So wahr das ist, daß Gott Mensch geworden ist, so wahr
ist der Mensch Gott geworden.
Meister Eckhart, Mystische
Schriften
Du sollst Gott lieben
wie er ist: ein Nichtgott, ein Nichtgeist, eine Nichtperson, ein Nichtbild.
Gott ist ein Gott der Gegenwart. Wie er
dich findet, so nimmt und empfängt er dich, nicht als das, was du gewesen,
sondern als das, was du jetzt bist.
Der Geist soll
also frei sein, daß er an allen nennbaren Dingen nicht bange und daß sie nicht
an ihm hangen. Ja, er soll noch freier sein: also frei, daßer für all seine
Werke keinerlei Lohn erwarte von Gott. Die allergrößte Freiheit aber soll dies
sein, daß er all seine Selbstheit vergesse und mit allem, was er ist, in den
grundlosen Abgrund seines Ursprungs zurückfliesse.“
Wir sagen heute: gib dein Ego auf. Auf
englisch hiess das immer: drop it! Also, lass es fallen.
Für diese und ähnliche Aussagen wird
Eckhart der Gotteslästerung angeklagt. In
Avignon, dem damaligen Sitz des Papstes, wird er zum Widerruf gezwungen. Höchstwahrscheinlich
widerrief er, obwohl das auch nicht gesichert ist. Er starb unter ungeklärten
Umständen 1327 oder Anfang 1328. Viele glauben, die Kirche habe nicht gewagt
den Mann öffentlich zu verurteilen, der so viele Anhänger hatte. Dennoch habe
die Kirche ihn loswerden wollen – daher die unklaren Umstände seines Todes.
Literaturangaben:
Wehr, Gerhard:
Meister Eckhart, Hamburg 1994
Büttner, Herman:
Meister Eckehart Schriften, Jena 1934
Lasson, Adolf:
Meister Eckhart, der Mystiker, Wiebaden 2003
Meister Eckehart
Deutsche Predigten und Traktate, München 1963
Stefan Blankerts:
Meister Eckhart, heilende Texte, Kassel 2015
(Blankerts ist Gestalttherapeut.)
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