Von Rajan
Roth
Gestalttherapeuten hören oft den Vorwurf, sie seien dominant,
sie lenkten die Sitzung in ihre Richtung, kurz, sie seien manipulativ. Mag
sein, dass der Vorwurf der Manipulation gelegentlich auf unsere Arbeit
zutrifft. Ich sehe durchaus die Gefahr und deshalb ist es so wichtig, etwas in
die Ausbildung einzubauen, was den zukünftigen Gestalttherapeuten hilft, in die
Richtung des Klienten zu arbeiten und nicht in ihre eigene.
Auf Film- und Tonbandaufzeichnungen hören wir Fritz Perls
immer wieder sagen: Geh in Kontakt. Geh in Kontakt mit mir. Geh in Kontakt mit
der Gruppe. Geh in Kontakt mit dir selbst. Es müsste doch genügen, dass
Gestalttherapeuten diese Aufforderung auch an sich selbst richten, um dann mit
sich selbst und dem Klienten in Kontakt zu sein. Dann dürfte er/sie auch den
Moment nicht verpassen, in dem der Kontakt zwischen beiden abreißt. Oder früher
noch: Der Therapeut, die Therapeutin, müsste wahrnehmen, dass es zwischen
beiden Gesprächspartnern noch gar nicht zum Kontakt gekommen ist. Hier müsste
erst einmal Vorarbeit geleistet werden: Wo bist du? Was beschäftigt dich
gerade, ehe eine tiefer gehende Intervention vorgeschlagen wird. Es kann also
durchaus sein, dass wir einige Sitzungen damit zubringen: Nimmst du deinen
Körper wahr? Was kannst du jetzt fühlen, ehe eine Identifikation oder der leere
Stuhl ins Spiel kommt.
In Kontakt gehen bleibt die zentrale Anforderung an Therapeut
und Klient. Wie das geht zeigt Carl Rogers im Gespräch mit Gloria sehr
eindrücklich:
Th: Guten Morgen. Ich bin Dr. Rogers, und Sie sind sicher Gloria.
K: Ja, das bin ich.
Th: Wollen Sie sich nicht setzen? Nun, wir haben also eine halbe Stunde miteinander, und ich weiß tatsächlich nicht, was wir daraus machen können, aber ich hoffe, wir werden etwas daraus machen. Ich bin an allem interessiert, was Sie angeht.
K: Nun, ich bin im Augenblick etwas nervös, aber die Art, wie sie so leise mit mir sprechen, macht mich schon ruhiger; auch hab` ich nicht das Gefühl, dass Sie grob zu mir sein. Doch... Th: Ich höre das Zittern in Ihrer Stimme…
K: Nun ja, worüber ich vor allem mit Ihnen sprechen möchte, ist folgendes: …
Th: Guten Morgen. Ich bin Dr. Rogers, und Sie sind sicher Gloria.
K: Ja, das bin ich.
Th: Wollen Sie sich nicht setzen? Nun, wir haben also eine halbe Stunde miteinander, und ich weiß tatsächlich nicht, was wir daraus machen können, aber ich hoffe, wir werden etwas daraus machen. Ich bin an allem interessiert, was Sie angeht.
K: Nun, ich bin im Augenblick etwas nervös, aber die Art, wie sie so leise mit mir sprechen, macht mich schon ruhiger; auch hab` ich nicht das Gefühl, dass Sie grob zu mir sein. Doch... Th: Ich höre das Zittern in Ihrer Stimme…
K: Nun ja, worüber ich vor allem mit Ihnen sprechen möchte, ist folgendes: …
An dieser Stelle
beginnt eine lange Darstellung ihrer Situation. Offenbar hat Gloria bereits
Vertrauen gefasst. Der Film ist auf You tube zu sehen und man kann miterleben
wie der Kontakt sich in den ersten Minuten entwickelt. ( Die Übersetzung ist
hier zitiert aus Carl Rogers: Therapeut und Klient, Frankfurt 1994, S. 166)
In der Ausbildungspraxis haben wir nun gelernt, dass es
Wochen, manchmal Monate dauert, ehe der angehende Therapeut einen echten Geschmack
davon bekommt, wie das ist, mit sich selbst in Kontakt zu sein. Was für eine
belebende Erfahrung es ist, den eigenen Atem wahrzunehmen, zu registrieren, wie
das Blut in den Adern pulsiert, den Luftzug auf der Haut zu spüren.
Könnte es
nicht etwas geben, das dem zukünftigen Therapeuten das Hineinwachsen in die
Arbeit leichter macht? Etwas ganz Grundlegendes, etwas, das uns die
Richtung vorgibt, in die alles therapeutische Bemühen geht? Etwas, das wie der Grundton in der Musik
durchgängig präsent ist, auch wenn er gerade nicht gespielt wird?
Genau das
finden wir bei Carl Rogers, in seinen Ausführungen zur Haltung des Therapeuten.
Seine „clientcentered therapy“ ist eine Absage an die
therapeutenzentrierte Therapie, mit ihr beendete Rogers die Alleinherrschaft
der Psychoanalyse. Er sprach als erster nicht mehr von Patienten sondern von
Klienten. Er machte auf das Gefälle zwischen Therapeut und Klient aufmerksam
und verzichtete bewusst darauf, für den Klienten etwas besser zu wissen, etwas
für ihn zu deuten, ihm zu sagen, wie das Leben geht. Dominantes und missionarisches
Verhalten beraubt den Klienten seiner
Würde, weil es ihm die Selbständigkeit nimmt und ihn bevormundet.
Bei Rogers wird der
Therapeut auf die Ebene eines menschlichen Alltags gehoben. Therapeuten sind
nur graduell und partiell geordneter und entspannter als ihre Klienten. Heute
erlebt der Therapeut einen guten Tag und kann dem Klienten helfen. Morgen kann
er selbst einen emotionalen Einbruch erleiden und zum Klienten werden, der Hilfe
braucht.
Diese Haltung
demonstrierte Fritz Perls in Sitzungen vor der Gruppe. Er tauschte immer wieder
mit Gruppenteilnehmern den Platz. In der Arbeit mit Barbara, in der er sein
Verhältnis zu Freud reflektieren musste, wird auf beeindruckende Weise klar, dass nicht
einmal er, Fritz, immer der Überlegene sein musste. Barbara fragte ihn: „Was
ist dir gerade bewusst?“ Fritz
antwortete: „Eine große Trauer, dass Freud gestorben ist, ehe ich wirklich von
Mann zu Mann mit ihm reden konnte.“ (Grundlagen der Gestalttherapie, S.231) Am
Ende dieser kleinen Besinnung auf Freud lobt er Barbara und sagt. „Du hast
etwas für mich getan.“
Wem es vor allem
darauf ankommt sein Therapeuten-Ego zu pflegen, der findet die ruhige, bescheidene Art eines Carl Rogers eher
unattraktiv. Als Rogers gefragt wurde:“ Reicht es denn aus, nur >ja< und >mhm<
zu sagen und das zuletzt gesagte Wort zu wiederholen?“ antwortete er: „Dem Klienten schon.“ Das
könnte übrigens erklären, weshalb clientcentered therapy in den USA schon seit
einigen Jahren wieder auf dem Rückzug ist.
Therapeuten, die sich immer siegreich, immer überlegen, immer
geläutert und zentriert präsentieren, sind wie Plastikblumen. Sie können
allenfalls etwas Ideales transportieren, aber nichts Reales. Wir sind
Wegbegleiter, soweit es irgend geht auf Augenhöhe. Nicht aber: Du, der arme, bedauernswerte,
hilfsbedürftige Patient. Ich, der Strahlemann,
der innerlich reiche, bewundernswerte, stets hilfsbereite Therapeut.
Die therapeutische
Haltung!
Roger zeichnete im
Laufe seines Berufslebens tausende von Sitzungen auf und ließ sie transkribieren.
Diese gigantische Materialsammlung zeigte ihm, seinen Mitarbeitern und
Studenten, dass ein Gesprächstherapeut nicht mehr braucht, als Zuhören,
Verstehen und Widerspiegeln des Verstandenen. Wenn man von Technik reden will,
ist hier in einem einzigen Wort alles gesagt: Spiegeln. Mehr Handwerkszeug brauchen
wir nicht.
Darüber hinaus zeigte sich – viel wichtiger als jede Technik -
dass eine ganz bestimmte therapeutische
Haltung den Verlauf und letztendlich den Erfolg der Therapie bestimmt.
Rogers konnte zeigen, dass es auf drei Qualitäten ankommt:
- Empathies Zuhören
- Achtung und Wertschätzung
- Echtheit, Authentizität
- Empathies Zuhören
- Achtung und Wertschätzung
- Echtheit, Authentizität
Im letzten Lebensjahrzehnt, nach dem Tod seiner Frau Helen,
kam eine vierte Größe hinzu:
-Präsenz
-Präsenz
Wenn ein Therapeut einfühlsam ist, den Andern
in seiner Andersartigkeit sein lässt, wenn er sich nicht hinter der
Therapeutenrolle versteckt, sondern authentisch der ist, der er eben ist, dann
kann sein Handeln therapeutisch wirksam werden. Irvin Yalom schreibt in
Gruppenpsychotherapie auf S.117 dazu: “Erfolgreiche Patienten unterstrichen die
Tatsache, dass ihre Therapeuten aufmerksam, warmherzig, respektvoll und vor
allem <menschlich> waren. Eine umfassende Prüfung der sich häufenden
Forschungsarbeiten zu diesem Themenbereich enthüllt, dass die therapeutischen
Qualitäten der Akzeptanz, der nicht besitzergreifenden Wärme und der positiven
Achtung stark mit erfolgreichen Therapieergebnissen in Verbindung stehen. Außerdem
ist die Verbindung zwischen positiver therapeutischer Bindung und günstigem
Ergebnis einer der am besten gesicherten Funde in der gesamten Psychotherapieforschung.“
Er schließt daraus auf S.118 „Diese Untersuchungen weisen also darauf hin, dass
erfolgreiche Therapeuten in mehreren Bereichen, die für gute Therapieergebnisse
höchst relevant sind, einander sehr ähneln, und dass die behaupteten
Unterschiede zwischen den Schulen vielleicht mehr scheinbar als real sind.“
Auf S.119 berichtet Yalom von einem Versuch, den er mit einer
Patientin durchführte: „Während der ganzen Behandlung hatten wir beide
unabhängig voneinander zusammenfassende Impressionen von jeder Sitzung niedergeschrieben
und sie im verschlossenen Umschlag meiner Sekretärin übergeben. Alle paar
Monate las jeder die Zusammenfassung des anderen und wir entdeckten, dass uns
sehr unterschiedliche Aspekte des therapeutischen Prozesses wertvoll
erschienen. All meine eleganten Deutungen? Sie hatte sie nicht einmal gehört!
Das, woran sie sich erinnerte und was sie schätzte, waren die leisen, subtilen,
persönlichen Kommunikationen, die für sie ein Zeichen meines Interesses und
meiner Anteilnahme waren.“
Vereinfacht heißt das: Es kommt nicht auf die
Therapierichtung an. Nicht die Technik
ist entscheidend sondern die Haltung des Therapeuten. Oder noch kürzer: Es
ist die Beziehung, die heilt. In seinem neuesten Buch „Und alles ist
vergänglich“ stellt Yalom eine Reihe von Fallbeispielen vor, in denen die
Beziehung zum Therapeuten das entscheidende Bewegmoment war.
Carl Rogers hat als erster den Zusammenhang zwischen Haltung
des Therapeuten und Therapieerfolg erkannt und benannt. Er sah darin die
Grundlage jeder therapeutischen Arbeit und er entwickelte die Technik des
Spiegelns, mit deren Hilfe wir die akzeptierende, empathische, selbstkongruente
Haltung wunderbar üben können.
Genau deshalb kann ein zukünftiger Therapeut Rogers nicht übergehen
auch und erst recht nicht der/die zukünftige Gestalttherapeut/in. Deshalb
taucht Rogers in jeder unserer Ausbildungen
auf und zwar immer am Anfang. Zuerst Klienten zentriertes Arbeiten verstehen,
sich auf diese Grundlagen einlassen. Dann erste Schritte tun, um die eigene
Haltung kennenzulernen, schauen wo ich abweiche und wo ich vielleicht schon
Fähigkeiten besitze, die ein Therapeut braucht. Dann schauen wie sich die
Gestalttherapeutischen Interventionen als Blumenstrauß erweiterter
Möglichkeiten unter unseren Händen
entfalten.
Meine unvergleichliche Lehrerin Anne Frommann brachte uns
bei: „Wenn du darauf aus bist, deinen Klienten in die Knie zu zwingen, wenn er
einknickt und du innerlich sagst <hab ich dich du Schweinehund> dann wird
es höchste Zeit für eine Supervisionssitzung, denn dann ist das nicht mehr
humanistische Therapie, was du da machst“.
Zitierte Literatur:
Perls, Fritz: Grundlagen der Gestalttherapie, München
1995.
Yalom, Irvin: Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie, Stuttgart
2001.
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