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über die Liebe

    

                        Über die Liebe


Kürzlich war ich wieder einmal in einer Kirche. Die Matthäuspassion hatte mich dorthin gelockt. Ich erlebte den Kirchenraum, die gotische Architektur, das Licht der bunten Fenster – und in diesem Raum die Musik von Johann Sebastian Bach. Da entstand ein Gesamteindruck, der jenseits aller Dogmen und jenseits der Lehren der Ratio lag. Etwas Zeitloses öffnete sich: der direkte Zugang zu Gott.

Ausgangspunkt und Ursprung all dieser gewaltigen kulturellen Ausprägungen ist Christus. Rund um den Anstoß, der von ihm ausging, hat sich so viel Gutes und so viel Schlimmes versammelt. Es ist unendlich viel darüber gesprochen, gestritten, gelehrt worden – bis der Kern gänzlich verwässert und schließlich in sein Gegenteil verkehrt wurde.

Der Anstoß selbst war ganz einfach:
„Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebet einander.“

Doch in Wahrheit war daran nichts „neu“. Christus brachte nichts Fremdes, kein unerhörtes Prinzip – er holte etwas zurück, was den Menschen die längste Zeit ihrer Geschichte selbstverständlich war: die liebevolle, fürsorgliche Verbundenheit, die so viele Jahrtausende lang Grundlage menschlichen Zusammenlebens war.

Bevor das Patriarchat die Gesellschaften der Welt prägte, lebten die Menschen in matriarchalen Strukturen – gemeinschaftlich, umsorgend, im Bewusstsein der Zusammengehörigkeit. Diese Qualität des Miteinanders war das eigentliche Fundament menschlicher Kultur. Und genau das war verloren gegangen, als Macht und Herrschaft, Konkurrenz und Kontrolle das Denken bestimmten.

Christus brachte dieses verlorene Wissen wieder in die Welt. Seine Botschaft – liebet einander – ist eine Rückkehr zu jenem alten, heilenden Prinzip, das das Patriarchat verdrängt hatte. Sie ist zugleich eine klare Absage an eben jene Machtstrukturen, die auf Dominanz, Angst und Spaltung beruhen.

„In einem matriarchalischen Stamm betrachteten sich die Menschen als eine grosse ausgebreitete Familie.“ Heide Göttner-Abendroth. Für die Musen.

Christus wurde als der große Heilsbringer gefeiert – doch vielleicht war er vielmehr der große Erinnerer. Er erinnerte an das, was immer da war: an die Liebe als Urgrund menschlichen Gemeinschaftslebens.

Und übrigens: Etwas ganz Ähnliches ist 500 Jahre vor Christus schon einmal geschehen. In Indien: Gautama Buddha wird, als Sohn eines Königs, in die Kriegerkaste hineingeboren. Er sollte den Weg des Kriegers gehen. Er heiratet, und kurz bevor sein erstes Kind geboren wird, verlässt er die Frau, den Palast, das alte Leben. Er geht in die Einsamkeit. Zwölf Jahre später kehrt er zurück, sein Geist ist geläutert, er hat sich um 180 Grad gedreht und lebt und predigt jetzt den Weg des Herzens. Auch er kam mitten aus einer zutiefst patriarchalen Struktur, in der es um Kampf, um Krieg, um Herrschaft und Gewalt ging und seine Lehren gehen in die diametral entgegengesetzte Richtung.

Beide Lehrer verlassen das kriegerische, patriarchale, materialistische Weltbild und setzen dem eine spirituelle Sicht entgegen - nur darin hat liebende Zuwendung Platz. Beide tragen Gewänder, ihre Gesichter sind schön, sie sammeln um sich Menschen, die Zusammengehörigkeit erleben - all das sind eher weibliche Qualitäten.  Schaut euch die Jesus-Darstellungen an: Er trägt ein langes weißes Kleid, hat lange wallende Haare, sein Bart ist eher der eines Jünglings. Beide, Buddha und Christus verbreiten um sich die Atmosphäre des Friedens - das, was wir alle wollen. 

Rajan
Stuttgart, 25. Oktober 2025

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