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Das Besondere an unserer therapeutischen Arbeit Oder „was wir unter Ganzheitlichkeit verstehen“.

 

 

Fritz Perls kennt die Begegnung mit der Leere aus der eigenen Erfahrung. Das ist das Tor zu einer anderen erweiterten Form der Gestalttherapie. Kollegen, vor allem deutsche Autoren nach 1970, schreiben über den leeren Stuhl, über Kontakt und Widerstand, über das 5 Phasen Modell der Persönlichkeit, zugleich Erklärungsmodell der Therapie neurotischen Verhaltens, über die Leere jedoch liest man bei den Gestalt-Nachfahren wenig bis nichts. Andere Autoren befassen sich damit, Ken Wilber, Stanislaw Grof, Eckart Tolle z. B., nicht aber die Perls-Schüler, obwohl doch bei Fritz die Erfahrung der Leere und das Hineingehen in die Mitte der Leere so wichtig war. Stemmler schreibt zwar über die Leere, übersieht aber den Zusammenhang von Leere ist gleich Stille ist gleich reines Bewusstsein. Ein Seinszustand, in dem die Dualität aufgehoben ist.

Reines Bewusstsein, wie es bei Kinslow auf so simple Art beschrieben ist: „Reines Bewusstsein ist eines, ohne Form.  Das heißt, es hat keine Grenzen, die unser Verstand ausmachen kann. Unser Verstand arbeitet mit Dingen, die man an ihrer unterschiedlichen Form erkennt. Der Verstand gleicht einem Behälter für Gedanken und Emotionen. Durch unsere Sinne bleibt unser Verstand in Kontakt mit der materiellen Welt. Weil sie unterschiedlich aussehen, können wir einen Keks von einer Kröte unterscheiden“ (Quantenheilung, S. 19) Das Bewusstsein ist formlos, grenzenlos, unterschiedslos und rein. Es ist eines, ohne ein Zweites. Weil das reine Bewusstsein formlos ist, kann es unser Verstand nicht erkennen. Wie sehr Sie sich auch anstrengen, Sie werden Bewusstsein nicht verstehen    können und genauso wenig kontrollieren oder manipulieren. Es existiert nicht als Gegenstand, deshalb existiert es für den Verstand nicht. Doch es existiert sehr wohl.“ (S. 20)   

Wer Zugang gefunden hat zu diesem Reich der Alleinheit und Fülle, der kommt von dort verändert zurück. Mini-Satori hat Fritz Perls es genannt. Wir können ein wenig weitergehen als Fritz, weil die Menschen, die Politik, die Gesellschaft, das Denken und Erleben in den vergangenen 50 Jahren auch weitergegangen ist. Ich will versuchen, hier ein wenig sichtbar zu machen, was in unserer gestalttherapeutischen Arbeit dazugekommen ist, seit Fritzens Tod.  In den Dokumentarfilmern seiner Sitzungen aus den letzten fünf Jahren seines Lebens, zeichnet sich deutlich ab, dass er immer mehr vom Macher zum Ermöglicher wurde. Barry Stevens, Meisterschülerin aus Perls` letzten Jahren, schreibt: Don`t push the river.  So verstehen wir unsere Arbeit: Präsent sein, wach sein, wahrnehmen und geschehen lassen.

Es gibt Widersprüche bei der Erfahrung der Leere: So kann die Erfahrung der kosmischen Einheit ohne Inhalt sein und doch alles umfassen was ist. Oder: wir erleben zugleich, dass wir ein Ich haben, also eine der Begrenzung zugehörige Erfahrung und dass sich doch gleichzeitig unser Bewusstsein so weit ausdehnt, dass es das ganze Universum umschließt, also grenzenlos ist. So hat Grof es formuliert. Geleitet von der Begegnung mit der Grenzenlosigkeit, hat sich die Reichweite der Gestalttherapie ausgedehnt.

Das heißt ganz praktisch: Wir halten die Begegnung mit der Leere oder universellen Fülle für möglich, aber ebenso Folgendes: Offene Gestalten gibt es nicht nur im biografischen Material aus diesem Leben. So findet sich manchmal ein Klient bei seiner Innenschau auf einmal in einem feuchten Gemäuer wieder oder er versteckt sich hinter einem Holzstoß vor Angreifern und wir finden immer wieder, dass er/sie in der therapeutischen Situation dorthin musste, weil da noch etwas Ungelöstes auf Lösung wartete. Das Unerledigte, was ja die Wachstumsblockade Nummer eins ist, wird, so erleben wir es immer wieder, von einem Leben ins nächste weitergereicht.

So trug zum Beispiel eine Klientin eine schwelende Empörung in sich, die sich erst verstehen und klären ließ, nachdem ihr Unbewusstes ihr Zugang zu einer uralten, unfertigen Situation gewährt hatte und wir haben gelernt, die zur Lösung drängende Situation kann aus diesem Leben stammen, aus einer abgebrochenen Beziehung, aus der frühen Kindheit oder aus einem vorigen Leben.

Jeder weiß ja, dass es solche Zugänge gibt, zu psychischen Inhalten, die lange verschlossen waren. Philosophen und Psychologen haben sich immer wieder gefragt wie das sein kann. Mir scheint, es gibt eine Brücke zwischen Materie und Bewusstsein, also zwischen der materiellen Erscheinung, die an diesem Ort und in dieser historischen Situation gefangen ist und dem Grenzenlosen, das zeitlos und formlos ist. Die Verbindung passiert im Unbewussten. Dazu muss man sich von der Freud’schen Vorstellung freimachen, nach welcher Unbewusstes und Unterbewusstes das Gleiche ist. Das Unbewusste ist nicht identisch mit dem Unterbewussten, es kann genauso auch das Überbewusste sein.

 Es geht, ob ein Bild aus der Kindheit oder aus dem 17. Jahrhundert stammt, immer darum, zu sehen und dann anzuerkennen was ist. Mit einem Teil unserer Psyche hängen wir vielleicht noch in der Vorpupertät fest oder im Kindergarten oder im Laufstall und wir sind empört und enttäuscht, dass es nicht so läuft wie wir es wollten oder wir fühlen uns auf den Tod bedroht und verängstigt während wir hier wohlgenährt in der geheizten Praxis sitzen und uns von psychischen Wirklichkeiten beuteln lassen. Auch hier müssen wir annehmen was ist, zum Beispiel, dass wir jetzt leben, und dass sich die Dinge auch ganz anders sehen lassen. Nur: Man muss sehen wollen. Daran hat sich seit Fritz nichts geändert.

Die Anwendungsgebiete der Gestalttherapie sind heute weiter, als zu Fritz Perls´ Zeiten. Auch in der biografischen Arbeit, wo wir Klienten in die Geburtserfahrung hinein begleiten – wenn es sich ergibt. Beides, die Geburtserfahrung sowohl wie vergangene Leben, haben Klienten bei uns in der therapeutischen Arbeit erlebt. Zwischen beidem liegt der Tod. Natürlich kann keiner wiedergeboren werden ehe er nicht gestorben ist.  Erfahrung des Durchgangs durch den Tod kann ebenso in Gestalt- Sitzungen passieren. Hier kann man von erweiterter Gestalttherapie sprechen oder vielleicht sollten wir einfach sagen Gestallt Heilung.

Ganz werden–das holistische Prinzip.

Stanislav Grof weist darauf hin, das Ganze ist nicht unser Körper, in dem eingeschlossen, unsere Seele wohnt und ganz sein ist auch nicht, wenn alle abgespaltenen Seelenanteile integriert sind. Ganz sein heißt mit dem Ganzen wieder eins sein. Die ausschließlich mentale Trennung zwischen Ich und Gott muss aufgehoben werden, um über die selbstgemachten Grenzen des persönlichen Bewusstseins hinauszugehen.

Wir sind Teil und Ausdruck des reinen Bewusstseins, in dem alles enthalten ist was ist.

Das ist das Ganze zu dem eine ganzheitliche Gestalttherapie hinstrebt.

 

 

Rajan 28.10.2022

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